Lieber Genosse ,
Du verweist in Deiner Frage auf die vorhergehende Frage eines unter Pseudonym schreibenden Genossen aus Chemnitz. Dieser ist nicht nur durch diese Frage bei abgeordnetenwatch aktiv geworden, sondern auch durch einen Artikel im ‚Klaren Blick‘ (für Außenstehende: der Monatszeitung der LINKEN in Chemnitz), der voller Unterstellungen war und erkennbar das Ziel hatte, meinen Ruf in der LINKEN Chemnitz zu beschädigen. Du wirst bestimmt mit mir einer Meinung sein, dass wir einen solchen Stil in unserer Partei nicht unterstützen sollten.
Wie Du sicher mitbekommen hast, läuft in der LINKEN gerade eine Debatte, ob man innerparteiliche Differenzen und unterschiedliche Positionen öffentlich diskutieren soll oder nur in Parteigremien und parteinahen Medien. Ich bin durchaus der Meinung, dass es uns selbst schadet, wenn wir unterschiedliche Positionen und Vorstellungen mit dem Hinweis, dass eine öffentliche Debatte möglicherweise unserer Partei schaden könnte, unterdrücken. Schau Dir die Geschichte der SED dazu an, sie ist ein gutes Beispiel, was dann eintritt: Friedhofsruhe. Zudem trifft man ja nicht jeden, mit dem man reden will, ständig in Gremien.
Ausgerechnet wir beide haben uns aber erst am letzten Samstag im Landesrat der sächsischen LINKEN in Dresden gesehen. Ich habe dort als Sprecher der Landesgruppe Sachsen im Bundestag Bericht über die Arbeit der Fraktion erstattet. Im Anschluss an diesen Bericht oder am Rande des Treffens hättest Du mich fragen können. Warum hast Du es nicht gemacht? Außerdem bist Du Mitarbeiter meines sächsischen Genossen und Kollegen in der Bundestagsfraktion, Jörn Wunderlich. Auch innerhalb der Fraktion wäre es kein Problem gewesen, dich an mich zu wenden. Warum hast Du darauf verzichtet?
Lieber Genosse ! Abgeordnetenwatch ist ein gutes Instrument, mit dem Bürgerinnen und Bürger den Abgeordneten, die sie ja selten direkt treffen, zu inhaltlichen Themen Fragen stellen können. Genau das trifft aber auf Dich nicht zu. Du bist Mitglied der LINKEN wie ich, Du bist aus Chemnitz wie ich und Du hast – sogar persönlich – Zugang zu mir. Zudem sind alle Argumente in der Diskussion über die Haltung der Fraktion zum UNMIS-Mandat für Dich als Mitarbeiter von Jörn leicht zugänglich. Mal ganz direkt gefragt: Was willst Du eigentlich mit deiner Frage erreichen?
Abgeordnetenwatch sollte nicht zur Plattform für innerparteiliche Zwistigkeiten verkommen. Die Usererinnen und User haben ein Recht auf eine inhaltliche Antwort – deshalb nun zum Inhalt: Du schreibst von der "absoluten Ablehnung von Kriegseinsätzen" durch DIE LINKE. Da sind wir völlig einer Meinung. Bei dem UNMIS-Mandat geht es jedoch eben nicht um einen Kriegseinsatz. Ich will dies kurz anhand eines Vergleichs des ISAF-Mandats für Afghanistan, das ich selbstverständlich ablehne, und des UNMIS-Mandats darstellen:
1. Die Einrichtung der ISAF-Mission (Afghanistan) erfolgte auf der Basis des Kap. VII der VN-Charta ("…tätig werdend nach Kap. VII …1. genehmigt die Einrichtung ein Internationalen Sicherheitsbeistandstruppe…"; SR-Res. 1386). Die Einrichtung von UNMIS (Südsudan) erfolgte nicht auf der Basis des Kap. VII, sondern auf Grundlage der Feststellung einer "Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" nach Kap. VI der VN-Charta (SR-Res. 1590).
2. Der Auftrag von ISAF, die afghanische Regierung "bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit…zu unterstützen, so dass die afghanischen Behörden ebenso wie das Personal der Vereinten Nationen und das sonstige internationale Zivilpersonal … ihre Tätigkeit in einem sicheren Umfeld ausüben können, …", beruht auf Kap. VII der VN-Charta ("…tätig werdend nach Kap. VII…," SR-Res. 1386, 1510, zuletzt 1890). Der Auftrag von UNMIS beruht nicht auf Kapitel VII der VN-Charta, sondern ebenso wie ihre Einrichtung auf Kap.VI der VN-Charta und umfasst u.a., "…die Waffenruhevereinbarung zu überwachen und zu verifizieren…", "…die Bewegungen bewaffneter Gruppen… zu beobachten und zu überwachen", bei der freiwilligen Entwaffnung, Einsammlung und Zerstörung von Waffen "behilflich" zu sein, uvam.
3. Der ISAF-Mission erlaubt das Sicherheitsratsmandat Kriegshandlungen zur Durchsetzung ihres Auftrags vorzunehmen. Der UNMIS ist dies nicht erlaubt: Während ISAF (SR-Res. 1386, 1510, zuletzt 1890) "ermächtigt" wird, "alle zur Erfüllung ihres Mandats notwendigen Maßnahmen zu ergreifen..."- mithin ggf. massive und offensive Kriegshandlungen zur (aktiven) Schaffung dieses "sicheren Umfelds" legitimiert werden -, gilt dies für die UNMIS nicht annähernd. Ihre Legitimation zu Kampfhandlungen nach Kap. VII der VN Charta ist im Mandat darauf begrenzt, "den Schutz von VN-Personal, -Einrichtungen und -Ausstattung sicherzustellen, sowie die Sicherheit und Bewegungsfreiheit von VN-Personal, humanitären Hilfsorganisationen und … Überwachungskommissionen zu gewährleisten. In gleicher Weise ist UNMIS… ermächtigt, Zivilbevölkerung, die in unmittelbarer Bedrohung angetroffen wird, zu schützen" (SR-Res. 1590).
Fazit: UNMIS hat kein Mandat zur Kriegsführung
Die Unterschiedlichkeit der Mandate - im Falle ISAF die Erlaubnis zum unbeschränkten Gewalteinsatz zur Durchsetzung des Auftrags (also ggf. Kriegsführung) nach Kap.VII, im Falle UNMIS seine Beschränkung auf Selbstschutz und Nothilfe (also keine Kriegsführung) ebenfalls nach Kap.VII - beruht auf dem unterschiedlichen Charakter der Missionen, Im Falle ISAF geht es um "Friedenserzwingung" gegen einen Gegner, im Falle UNMIS um "Friedenserhaltung" auf der Basis eines zwischen Parteien verhandelten Abkommens.
Die Einsatzwirklichkeit entspricht den Mandaten: Während ISAF von der NATO geführt wird und schwerstbewaffnet offensive Kampfhandlungen durchführt, ist UNMIS VN-geführt, mäßig bewaffnet und (sehr selten) allenfalls in defensive Kampfhandlungen verwickelt.
Aus diesem Grund und angesichts der katastrophalen humanitären Situation für die Menschen im Sudan habe ich mich bei der Abstimmung über die Verlängerung des UNMIS-Mandats im Bundestag enthalten. Auch wenn es schön wäre: Die Welt ist leider nicht nur schwarz und weiß.
Mit freundlichen Grüßen,
Michael Leutert